Meine Kindheit in Aumühle

Dieser Eintrag stammt von Inga Ejsmont (*1994)

Interview mit Heidi H. (*1938)

Ich habe mich entschlossen, das Interview mit meiner Oma Heidi H. über ihre Kindheit in Aumühle zu führen.


Wie, wo und mit wem hast du damals gelebt?

Ich war 10 Jahre alt, als ich 1948 mit meinem drei Jahre jüngeren Bruder Uli und meiner Mutter Ilse nach Aumühle zog. Meine Eltern hatten sich scheiden lassen. Mir wurde erzählt, dass wir umziehen, weil meine Mutter Oma Margarete beim Einkaufen helfen und sich um sie kümmern sollte. Ob das der wahre Grund war, weiß ich bis heute nicht. Meine Großmutter lebte in Bergedorf in einer Villa. In Aumühle betrieb Mutti Heimarbeit und putzte bei anderen Leuten, um sich Geld dazuzuverdienen. Sie konnte sich keine Betreuung für uns leisten, deshalb war sie viel zu Hause und kümmerte sich um uns. Außerdem versorgte sie auch ihre Mutter.

Wie hast du in Aumühle gelebt und welche Erinnerungen hast du an diese Zeit?

Ich hatte eine glückliche Kindheit und konnte sorgenfrei aufwachsen. Obwohl wir wenig besaßen, habe ich geschätzt, was wir hatten. Nach dem Krieg gab es Tauschgeschäfte mit Wohnungen und Zimmern innerhalb Deutschlands. Wir sind damals vor dem Umzug ins Einwohnermeldeamt in München gegangen und haben unsere Wohnung zur Verfügung gestellt. Dafür bekamen wir drei ein Zimmer auf dem Dachboden einer Villa in Aumühle. Dieses Verfahren hieß früher “Zwangsbewirtschaftung”. Es existierte nach dem Krieg, um Menschen Wohnraum zu ermöglichen. Das ganze Haus war voll mit Leuten, die nach dem Krieg keine Wohnung besaßen und nun im Zuge der Zwangsbewirtschaftung darin als Flüchtlinge lebten. Für mich war das nicht unangenehm, sondern eine tolle Möglichkeit, um Spielkameraden zu finden. Ich hatte viel Kontakt zu den Kindern und spielte oft mit ihnen, auch mit der Tochter der Hausbesitzer. Diese waren sehr nett, und die Tochter lud alle Kinder aus dem Haus zu ihren Geburtstagen ein. Die Villa war sehr groß und hatte einen weitläufigen Garten, ähnlich wie ein Park. Dort wurde viel gespielt, Völkerball zum Beispiel. Der nahegelegene Sachsenwald bot auch einen tollen Platz zum Spielen. In Aumühle gab es viele Villen, in die Flüchtlinge einquartiert waren. Die Menschen, denen es nach dem Krieg besser ging, mussten teilen. Hier wurde im Krieg sehr wenig zerstört. Es fuhr eine Bahn nach Hamburg, die ich später nutzte, um zu meiner weiterführenden Schule zu kommen.

Wie hast du deine Mutter erlebt?

Es war nicht leicht für meine Mutter, die Familie durchzubringen und trotzdem zuversichtlich und fröhlich zu sein. Weil sie Alleinverdienerin war, mussten wir besonders auf unsere Sachen aufpassen. Am schlimmsten war es, wenn mein Bruder oder ich etwas kaputt machten, wie z.B. Schuhe oder Kleidung. Darüber musste meine Mutter auch manchmal weinen. In der Nachkriegszeit waren alle Güter knapp und man musste sehr gut mit dem wirtschaften, was man hatte. Wir besaßen einen Schrebergarten, in dem wir selber Gemüse anpflanzten. So hatten wir wenigstens eine kleine Ration Essen zur Verfügung.

Der Bahnhof von Aumühle

Wie hat dein Alltag ausgesehen?

Ich ging ein halbes Jahr in Aumühle zur Grundschule bis ich auf die Realschule nach Reinbek wechselte. Ich wurde Fahrschülerin, was bedeutete, dass ich jeden Morgen den Dampfzug ab Aumühle nutzte, um nach Reinbek zur Schule zu kommen. Nachmittags kam ich von der Schule wieder und meine Mutter wartete schon mit dem Mittagessen. Danach erledigte ich meine Hausaufgaben. Unser Zimmer lag auf dem großen Dachboden der Villa. Dort durften mein Bruder und ich uns jeder einen Schreibtisch hinstellen und lernen. Nach Erledigung unserer Schularbeiten hatten wir Freizeit. Meist nahm uns meine Mutter mit in den nahe gelegenen Sachsenwald. Dort sammelten wir Pilze, Beeren oder Holz für den Ofen. Am Wochenende spielte ich meistens mit den Kindern aus unserem Haus oder aus der Nachbarschaft. Ich hatte viel Spaß beim Spielen und habe das sehr genossen. In der Kirche besuchte ich den Jugendkreis und nahm auch Blockflötenunterricht. Im großen und ganzen ging es uns Kindern gut.

Musstest du auf vieles verzichten?

Natürlich mussten wir auf vieles verzichten, aber das weiß ich erst heute. Damals kannte ich schließlich nichts anderes und vermisste auch nichts. Wir waren sehr genügsam und wir hatten wenig Streit. Natürlich hätte ich mir manchmal kleinere Sachen wie Süßigkeiten oder Schokolade gewünscht. Es war schwierig, meine Mutter um Geld zu bitten, weil wir so wenig hatten. Sie hat es uns aber trotzdem ermöglicht, an Kinderfreizeiten, Chorfreizeiten oder Klassenreisen teilzunehmen.

Wie hat dir die Zeit dort gefallen?

Die Zeit in Aumühle hat mir insgesamt gut gefallen. Ich habe dort gerne meine Kindheit verbracht. Ich hatte viele Freunde und habe viel unternommen. Meine Mutter hat uns in die Kirche mitgenommen und so habe ich einen Bezug zu ihr bekommen. Ich war in der Gemeinde tätig, fuhr mit auf Ausfahrten und nahm an Jugendgruppen teil.

Hast du noch Bekanntschaften aus der damaligen Zeit?

Ja, ich habe noch zwei Freundinnen. Mit beiden habe ich damals viel gespielt. Eine von ihnen war wie ich in Aumühle untergebracht im Zuge der Zwangsbewirtschaftung. Bei beiden habe ich mich bemüht, die Freundschaft über die Jahre zu pflegen, und wir haben es geschafft, uns wiederzufinden.

Schlusswort

Ich finde es sehr beeindruckend, wie meine Urgroßmutter ihr Leben mit so wenig Mitteln gestaltet hat. Gerade auch in Hinsicht auf ihre Kinder, also meine Oma und deren Bruder. Meine Oma hat von den Folgen des Krieges wenig mitbekommen. Das Interview hat mir Spaß gemacht und mir eine neue Seite von meiner Großmutter gezeigt.

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